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Typisch Frankreich 4 - Pendlerfreuden

„Heute war ein ganz besonderer Tag für mich. Es ist etwas passiert, worauf ich schon lange gewartet habe. Endlich ist das Ereignis eingetreten, worauf ich gewartet habe, seit ich das erste Mal in Paris war. Ein Ereignis so selten, dass ich es für einen Mythos gehalten habe, bis es mir heute endlich selbst widerfahren ist. Was für ein weltbewegendes Erlebnis ich hatte? Mein Metroticket wurde kontrolliert. Zum ersten Mal in den drei Monaten, in denen ich nun schon hier lebe.“



Leider habe ich den obigen Text nie zu Ende geschrieben, da ich damals wohl die Metro wechseln musste und er anschliessend in den Tiefen meiner Google-Notes verschwand. Nicht dass es zu der Situation noch viel zu sagen gäbe. Seither bin ich noch sagenhafte zwei Mal kontrolliert worden. Da fragt man sich doch, ob sich die Anschaffung einer 70€ teuren Carte Navigo gelohnt habe, oder ob man seinen Alltag nicht doch besser um diesen einen, kleinen Nervenkitzel hätte bereichern können. Die Bussen fürs Erwischt werden sind zwar relativ teuer (50€), aber für uns Schweizer, die wir 90 Franken plus den Preis des Zugbillets zahlen, wenn wir „schwarzfahren“, ist das ja nichts. Als ich mit meiner kanadischen Kollegin, die auch ein Bisschen Deutsch kann, über dieses Thema redete und ich ihr gestehen musste, dass wir Schweizer die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels ohne gültigen Fahrausweis „black driving“ nennen, fand sie das schon ein wenig rassistisch. Wenn die wüsste, dass wir mit Schokolade überzogenen Eiweissschaum noch „Morenköpfe“ nennen… Von der DSI will ich hier gar nicht erst anfangen!


Aber in diesem Text soll es ja nicht um Rassismus gehen, sondern um die Freuden und Leiden des Metrofahrens. Mittlerweile habe ich also schon fünf Monate Metro-Erfahrungen, habe jede Metrolinie schon mindestens einmal benutzt und bin trotzdem erst zweimal in die falsche Richtung gefahren. Die Billanz ist also positiv.


Mittlerweile kann ich im Halbschlaf zur nächsten Metrohaltestelle mit dem wunderbaren Namen „Botzaris“ schlurfen. Automatisch steige ich drei Haltestellen weiter bei Jaurès aus, quäle mich die fünf Treppen nach oben (die Linie 2 muss natürlich ausgerechnet an dieser Stelle überirdisch verlaufen) und verpasse um Haaresbreite die nächste Metro, weil ich nichts gefrühstückt habe und die letzten zehn Stufen unmöglich rennen kann. Während ich schnaufend auf die nächste Metro warte, verfluche ich meine nicht vorhandene Fitness, meinen inneren Schweinehund, der es verhindert, dass ich daran etwas ändere und meine Unfähigkeit, morgens etwas früher aufzustehen. An ganz schlechten Tagen spricht mich in diesem Moment dann auch noch ein Obdachloser an, der Geld will und als Gegenleistung für mich ein zweiminütiges Trommelkonzert gibt. Sorry liebe Mitpendler, wenn ich gewusst hätte, dass ich damit Lärmbelästigung finanziere, hätte ich die 10 Cent, die gerade zufällig in meiner Jackentasche waren, behalten. Irgendwann kommt dann eine völlig überfüllte Metro mit beschlagenen Scheiben und ich beginne meine morgendliche Sauna-Rundreise Richtung Westen. Mein Neujahrsvorsatzt war zwar „in der Metro nicht mehr so viel schwitzen“, es läuft aber noch nicht so gut. Es muss wohl auch erst noch Kleidung erfunden werden, die einen draussen bei 0°C warm hält und in einer 27°C heissen, tropischen Metro nicht zu einer Überhitzung führt.


Natürlich wird die Metro an jeder Station voller, stickiger und die Stationen scheinen weiter auseinander. Jaurès - Stalingrad - La Chapelle (Ghetto) - Barbès Rochechouart (Ober-Ghetto) - Anvers (Sacre-Cœur) - Pigalle - Blanche (Moulin Rouge) - Place de Clichy. Finalement !


Eigentlich müsste ich hier noch einmal umsteigen und eine Station mit der Linie 13 fahren, aber das wäre Folter. Während ich an meinem ersten Arbeitstag noch dachte, für diese Linie würden die Menschen bis in den Gang anstehen, weil es regnete und eine technische Störung den Verkehr verlangsamte, weiss ich heute, dass diese Linie immer grausam verstopft war. Es hat extra eine Plexiglaswand mit Schiebetüren, die erst aufgehen, wenn eine Metro dahinter steht, um sicher zu gehen, dass sich die aggressiven Pendler nicht auf die Schienen stossen. Zusätzlich steht ein Mensch vor jeder Türe, der die anstehenden Leute anschreit, zur Seite zugehen, damit die Leute in der Metro aussteigen können und so vielleicht ein oder zwei der wartenden, aggressiven Pendler einsteigen können. Muss ein wahnsinnig toller, erfüllender Job sein. Meistens schafft man’s dann nur mit Anlauf in die Metro, so dass die Menschen darin zusammengedrückt werden. Dann kommt die zweite Funktion des schreienden Metro-Angestellten zum Einsatz. Er ruft: „Attention fermeture des portes!“ und wenn man Glück hat, drückt er einem den aus der Metro hängenden Rucksack noch ein Bisschen hinein, so dass der nicht in der Tür eingequetscht wird.


Denn die Türe schliesst. Egal wer oder was dazwischen ist. So ist Ende letztes Jahr auch ein junger Mann ums Leben gekommen, der etwas spät aus der Metro gesprungen ist. Er war zwar draussen, aber seine Jacke leider nicht. Und so wurde er mitgeschleift. Kein schöner Tod. Und als Pendler versaut dir das doch echt den Tag.


Um den Stress auf Linie 13 zu vermeiden, spaziere ich den Rest meines Schulweges also immer. Der Place de Clichy ist ja auch ziemlich hübsch anzusehen. Jeden Morgen gibt mir die dort stationierte Zeitungsverteilerin die gratis Zeitung „Direct Matin“, die ich nur nehme, weil sie immer so freundlich Bonjour sagt und weil ich für ihre tägliche Leistung den grössten Respekt habe. So extrem freundlich und gut gelaunt zu sein, obwohl man jeden Morgen aufsteht, um den Job eines Zeitungsständers zu machen, verdient von mir aus gesehen einen Orden.

Wenn mir dann auf meinem Spaziergang Richtung Schule Heerscharen von Menschen entgegen kommen (ich scheine oft die einzige zu sein, die vom Place de Clichy weg läuft), weiss ich, dass die Metro 13 wieder einmal eine Panne hatte und sowieso ausgefallen wäre, weshalb heute ganz viele Pendler zu Fuss in die Stadt kommen. Aber zum Glück wird Pünktlichkeit in Frankreich ja nicht so gross geschrieben.


Heute hatten wir übrigens einen perfekten, wolkenlosen blauen Himmel. So macht spazieren Freude.


Trotzdem finde ich die Metro an sich etwas ganz Tolles. Sie führt einen überall hin und sie fährt ständig, im Zwei- bis Siebenminutentakt und an den Wochenenden sogar bis Nachts um zwei. Und im Gegensatz zu den Bussen hält sie auch tatsächlich an jeder Haltestelle. Busse hasse ich ja sowieso. Ich wohne zwischen zwei Metrostationen, von denen mich eine in 15 Minuten ins Zentrum der Stadt bringt. Das ist praktisch. Und den Rest laufe ich. Paris ist spannend und es lohnt sich wirklich, durch die Stadt zu spazieren. „Au soleil, sous la pluie…“ Paris ist immer schön.


In diesem Sinne: Frohes Chinesisches Neujahr!




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