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Ein Plädoyer für Selfie-Sticks – und dafür sie irgendwo anders zu benutzen, nur nicht in Paris

Ich weiss, der Zeitpunkt wäre gut, um meinen Blog durch etwas politisch Relevantes zu ergänzen, schliesslich wohne ich seit Freitag dem 13. in einem Krisengebiet. Aber irgendwie habe ich dazu gerade keine Lust. Wenn ihr etwas Tiefgründiges lesen wollt, dann haben darüber ganz viele andere Menschen in ihre Blogs geschrieben, Menschen die dafür bessere Worte finden als ich. Also geht es hier mit seichter Unterhaltung zum Thema Selfie-Sticks und Paris weiter.



In Paris hat es viele Touristen und wo viele Touristen sind, sind auch viele Selfie-Sticks. (Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Selfie-Stick ist: Das ist eine Stange, die als Verlängerung des Arms dient, an der man ein Handy oder eine Kamera befestigt, um mit dieser ein Foto von sich selbst zu machen, wenn gerade niemand in der Nähe ist oder man nicht gerne mit fremden Menschen kommuniziert.) Und eigentlich finde ich diese Erfindung gar nicht so dumm. Bevor ihr mich für diese Aussage jetzt steinigt, hört euch erst meine Argumente an:


Die meisten Selfie-Tussis meiner Generation - und aller folgenden - haben ein vor dem Spiegel einstudiertes Selfie-Gesicht, dass auf absolut JEDEM Selfie eingesetzt wird. Folglich sehen alle Selfies dieser Person gleich aus, denn es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Selfies immer aus dem gleichen Winkel gemacht werden müssen. Es besteht die Möglichkeit, Makeup, Frisur und Grösse des Ausschnittes zu verändern, aber das war’s dann auch. Ausser es handelt sich um ein besonders langweiliges Exemplar dieser Spezies, das jeden Tag dasselbe oder kein Makeup trägt und stets die gleiche Frisur trägt, denn dann sieht absolut jedes Selfie genau gleich aus. Klickt doch einmal durch eure Facebook-Freunde, ihr werdet bestimmt so ein Profil finden. Solltet ihr sogar selbst zu dieser Spezies gehören und feststellen, dass all eure Profilbilder genau gleich aussehen, obwohl ihr euch doch so Mühe gebt und extra alle paar Wochen ein neues hochladet, überlegt euch doch, einen Selfie-Stick zu kaufen.

Denn… *Trommelwirbel* … ein Selfie-Stick erlaubt es euch, nicht nur euren Kopf auf dem Foto zu haben, sondern auch noch etwas Hintergrund! Da meine Generation – und alle folgenden – sowieso überall Selfies machen (besonders die folgenden Generationen. Im Ernst, wer macht während der Pause ein Selfie in einem Klassenzimmer?! In JEDER Pause! Und wer will das sehen?), würde dann endlich etwas in den Selfies passieren. Im Hintergrund, der nur dank des Selfie-Sticks Platz auf eurem Selfie hat, könnte dann zum Beispiel etwas Lustiges passieren. Oder man könnte tatsächlich sehen, dass und wo ihr in den Ferien seid. Es gäbe sogar Platz für „Photobombs“, die man dann Jahre später wieder anschauen würde und darüber lachen könnte. Statt nur euer Gesicht. Mit immer demselben Gesichtsausdruck.

Wenn man sich dann auch noch geschickt anstellt, bringt man es sogar fertig, ein Selfie-Stick-Selfie zu machen, auf dem man den Stick nicht sieht. Ja, das ist möglich. Und dann sieht es fast aus wie ein richtiges Foto. Ein Foto, auf dem ein Mensch vor eine Hintergrund steht/sitzt/whatever. Wenn ich nämlich gerade vor Paris‘ berühmtestem Wahrzeichen stehe und zufällig auch noch halbwegs passabel geschminkt bin und keine fettigen Haare habe, möchte ich eventuell ein Foto von mir und besagtem Turm haben. Zwingt mich meine Soziophobie dazu, das Foto selbst zu machen, wird daraus halt ein Selfie, aber ich möchte eben schon, dass das Bauwerk von Herrn Eiffel noch drauf ist. Sonst könnte ich das Selfie ja auch zu Hause machen. Und da hilft dann halt ein Selfie-Stick.


Trotzdem brauche ich in Paris keinen Selfie-Stick, denn man ist hier permanent von ganz, ganz vielen Leuten umgeben, die tatsächlich bereit sind, zwei Minuten ihres Lebens für euer Foto zu opfern. Meistens sind diese Leute sogar auch Touristen, machen auch gerade Fotos und wissen, wie man im 21. Jahrhundert eine Kamera oder einen Touchscreen bedient. Wenn man sie ganz lieb fragt, dann machen sie ein Foto von einem und darauf ist dann meist auch das jeweilige Monument im Hintergrund zu sehen. Und so schlimm ist es wirklich nicht, einen fremden Menschen um ein Foto zu bitten. Wenn ihr Angst habt, dass eure Kamera geklaut wird, dann fragt am besten jemanden, der eine fette Spiegelreflexkamera um den Hals trägt. Hobbyfotografen wissen, dass eure Kamera euer Baby ist und würden euch nie so etwas antun. Ausserdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Fotos gut werden auch grösser. Noch besser sind japanische Touristinnen, denn sie verstehen, was ich wirklich meine, wenn ich sage „Can you take a picture of me and my friend with the Eiffel Touer?“ und taken eben nicht nur „a picture“ sondern gleich etwa 50 innerhalb von 2 Minuten. Das steigert die Chancen enorm, dass ein Bild dabei ist, auf dem auch zwei unfotogene Menschen gleichzeitig die Augen offen halten.


Es gibt aber durchaus Situationen, in denen es unangebracht ist, andere Leute zu fragen, ob sie ein Foto von einem machen könnten. Zum Beispiel in einer vollgestopften Metro, denn da hat wirklich keiner Lust irgendetwas zu machen, ausser zu hoffen, dass möglichst viele Leute an der nächsten Haltestelle aussteigen oder die Temperatur auf magische Weise um 10°C abkühlt. Ihr fragt euch vielleicht: „Wie kommt sie denn auf die Idee, dass irgendwer im unvorteilhaften Licht einer Metro ein Foto von sich haben will?! Das ist ja absurd.“ – Tja, das war nicht meine Idee, das ist tatsächlich passiert. Ich weiss nicht, wie viele der Selfies dieser spanischen Touristinnen ich ziere, aber neben mir hat tatsächlich einmal eine Gruppe in der Metro Selfies gemacht. Zur Mittagszeit, wo die Metro fast so voll ist wie am Morgen! Mit einem Selfie-Stick!!! Und das waren nicht etwa 16-jährige Tussis… Nein. Das war eine Gruppe Seniorinnen! Ja, ich stand da verschwitzt in der vollen Metro und versuchte nicht in die Kamera zu schauen, während eine Gruppe spanischer Seniorinnen neben mir mit einem Selfie-Sticks versuchte, ihre faltige Schokoladenseite fest zu halten.


Das ist meine Lieblings-Selfie-Stick-Geschichte. Meine zweit liebste Selfie-Stick-Geschichte handelt von einer Frau, die offenbar nur ungern die Kontrolle abgibt: Ich war bei Trocadero, wo man einen tollen Ausblick auf den Eiffelturm hat und wo auch die meisten Fotos von Touristen mit Eiffelturm-Hintergrund gemacht werden. Ja, zugegeben ich war auch da, um ein hübsches Foto von mir und dem Wahrzeichen zu machen, schliesslich müssen meine rosa Haare vor möglichst tollen Hintergründen für die Ewigkeit festgehalten werden. Auf jeden Fall war da ein Pärchen, das mir auffiel. Sie waren schon da, als wir ankamen und er machte Fotos von ihr. Ich machte zuerst ein paar Fotos vom Turm, dann bot ich einer Amerikanischen Familie an, sie zu fotografieren, wenn sie dafür uns fotografieren würden. Sie nahmen natürlich gerne an (wer will schon Fotos auf denen ständig ein Familienmitglied fehlt?) und wir machten ziemlich viele Fotos. (Der Typ machte immer noch Fotos von seiner Freundin.) Dann machte die amerikanische Mom noch Fotos von uns. (Das Paar sah sich die Fotos, die er von ihr gemacht hatte an und er musste sie anscheinend weiter fotografieren.) Wir unterhielten uns ein Bisschen über ihre Reisepläne der Amis und sagten dann bye. Als ich wieder in Richtung des Pärchens schaute, war der Freund tatsächlich durch einen Selfie-Stick ersetzt worden! Er stand daneben und schaute ihr zu, wie sie mit einem Selfie-Stick Fotos von sich selbst machte. Wow! Entweder war der Typ ein richtig, abartig schlechter Fotograf, der während fünfzehn Minuten kein einziges gutes Foto zustande gebracht hatte, oder diese Frau war einfach unheimlich kontrollsüchtig. Ich möchte noch einmal betonen, dass sie den Selfie-Stick nicht benutzt hat, um Fotos zu machen, auf denen sie beide drauf waren. Sie hat sich nur lieber selbst fotografiert, als diesen wichtigen Job einem anderen Menschen zu überlassen. Oh-keeey.


Ein geeigneter Ort, um den Selfie-Stick einzusetzen fände ich zum Beispiel ein Boot: Wenn man zu zweit unterwegs ist und gerne mal zu zweit auf einem Foto wäre, es aber zu wacklig ist, um die Kamera einfach irgendwo hin zu stellen. Oder bei einer Wanderung, wenn man findet, dass die Natur zwar schön ist, aber mit einem selbst auf dem Foto einfach noch schöner wäre. Oder in der Wüste, wenn einfach kein Beduine weiss, wie man einen Touchscreen bedient. Also eigentlich überall da, wo niemand sonst ist, der ein Foto von einem machen könnte. Weil ein Stativ ist einfach sauschwer und braucht viel Platz. Sobald es aber Menschen hat, kann man die ja fragen. Und sobald es viele Menschen hat, stellt so ein Selfie-Stick ja auch eine Gefahr für die Umwelt dar.



Zum Schluss noch einen Witz:


Wenn ein Selfie ein Foto von einem selbst ist, was ist dann ein Foto von jemand anderem?

- ein Someoneelsie


Ich hab euch gewarnt: seichte Unterhaltung.

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