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Teenager sind ja gar nicht so scheisse

… wie ich sie in Erinnerung hatte.


Zugegeben, meine Oberstufenklasse war nicht die einfachste und vielleicht sind auch nicht alle 12- bis 16-Jährigen eine so schlimme Plage, wie wir das waren, aber ich stellte es mir einfach unglaublich anstrengend und nervig vor, mit einer Horde pubertierender, möchtegern-cooler Pickelgesichter zusammen zu arbeiten. Ausserdem war ich in einer Bez-Klasse, wo ja die nicht ganz komplett verblödeten Teenies sind, weshalb ich mir das Arbeiten in einer Sek- oder Realklasse wie die Hölle auf Erden ausmale. Nichts für mich.

Versucht mal, den letzten Satz Französisch zu betonen und auszusprechen. Erretet ihr das Wort? *


Als wir auf der wahnsinnig informativen Infoveranstaltung für uns Sprachassistenten (kurz: Assis) vom „Stage Intensif de Langue“ erfuhren, das jeweils in den Ferien für Lycée-Schüler stattfindet und uns die Möglichkeit gibt, auch noch während unserer Ferien für einen Hungerlohn zu arbeiten, stand ich diesem Projekt eher mit gemischten Gefühlen gegenüber. Da sie im Moulin Rouge aber gerade keine Stelle für unbegabte Tänzerinnen vakant hatten, beschloss ich mich doch für den Stage Intensif zu bewerben. Vielleicht würden sie mich ja nicht nehmen, ich meine: Ernsthaft? Wer lernt freiwillig in seinen Ferien deutsch?! – Aber natürlich habe ich die Stelle bekommen und wurde dann angefragt, ob ich nicht auch noch gleich eine zweite Gruppe am Nachmittag übernehmen wollte. Natürlich wollte ich, wer recyclet nicht gerne seinen Unterricht und benutzt ihn noch ein zweites Mal.



Ich stellte mich also auf eine Woche mit extremst demotivierten Teenagern vor, die anscheinend etwas so schlimmes angestellt hatten, dass ihre Eltern sie zwangen, in den Ferien noch in die Schule zu gehen. Meine Unterrichtsvorbereitung bestand hauptsächlich daraus, mir einen Sonntagabend lang deutsche Rapmusik-Videos auf Youtube anzuschauen, Lyrics zu suchen und zu sexistische Texte oder unangebrachte Videos auszufiltern. „Willst du“ (mit mir Drogen nehmen) von Alligatoah fiel also nicht nur wegen der schwer übersetzbaren Metaphern weg. Ich entschied mich für „Aurevoir“ von Sido, damit sie zumindest schon mal ein Wort verstehen würden. Ausserdem sollte uns dieses Lied den Einstig in eine Diskussion über Freiheit, Ausbrechen und Träume öffnen. Soweit die Theorie.


Dass die Diskussionen wohl eher harzig werden würden, merkte ich als ich einen zu spät kommenden Schüler mit „Hallo, wie heisst du?“ begrüsste und er mich ansah, als hätte ich ihn gerade auf Chinesisch nach der Quadratwurzel von 17 gefragt. Da ich meinen 4. Klässlern in der Woche vor den Ferien während einer Lektion beigebracht habe, wie man auf Fragen wie „Wie heisst du?“, „Wie alt bist du?“, „Woher kommst du?“ antwortet, war ich etwas schockiert, als mir der 1.90m grosse Rugbyspieler nicht einmal auf diese Frage antworten konnte. Ich schraubte meine Ziele also von Diskussionen über Freiheit auf Hör- und Leseverständnis eines Songtextes herunter. Das lief gut, sie mochten die Lieder und Cro hat jetzt noch ein paar Fans mehr. Bitte gern geschehen.


Morgens hatte ich jeweils die Niveau A2-Gruppe, die eigentlich ein Niveau A0 war, aber hey, wen kümmert schon ein international anerkanntes System zur Beurteilung von Sprachniveaus… Diese Gruppe konnte gar nichts, aber sie waren lustig und grösstenteils motiviert. Und mit Montagsmaler und Pantomime brachte ich sie dazu, sich einen Grundwortschatz zu erarbeiten. Wer versteht denn bitte nach zwei Jahren Deutsch nicht, was „sitzen“ bedeutet?! Nachmittags hatte ich die B1-Gruppe, die wahnsinnig süss war. Abgesehen von dem einen Typen, der irgendwie mit mir zu flirten versuchte. Das war neu. Das passiert dir in der Grundschule nicht. Durch meine Arbeit als Bardame in einem zwielichtigen Club, hatte ich aber zum Glück schon genügend Erfahrung darin, Flirtversuche mit professionellem Ignorieren abzuwehren, weshalb ich dieses Problem schnell wieder in den Griff kriegte. In dieser Gruppe hatte es tatsächlich auch ein paar Mädchen, die ein B1-Niveau hatten und mit denen ich auf Deutsch in ganzen Sätzen reden konnte. Eines von ihnen hiess Silke, war kanadisch-französisch, der deutsche Name half aber anscheinend beim Deutsch lernen, denn sie sprach mit Abstand am besten. Mit dieser Gruppe zu arbeiten machte wahnsinnig Spass und sie waren mindestens genauso Fan von mir, wie ich das von meinen Primarschlern gewohnt bin. Und sind wir ehrlich, ich bin nur Lehrerin geworden, wegen der Fans. Die Mädchen räumten nach Unterrichtende auch immer extra langsam auf und blieben dann noch, um mir von ihrem Pain d’Epices anzubieten und mit mir zu reden. Wohnst du in Paris? Wie lang bleibst du noch? Kennst du den süssen Englisch Assistenten, der den Stage am Ende des Flurs leitet? Findest du ihn auch süss? Hast du einen Freund? Warum kannst du so gut Französisch? Wirst du wieder einmal einen Stage machen?


In meinen Klassen waren tatsächlich (abgesehen von zwei Jungs) nur freiwillige Schüler anwesend, die von sich aus gesagt haben, dass sie in den Ferien ihr Deutsch verbessern wollen. Ich hatte also die Nerds und mit Nerds kann ich gut. Während ich mit meiner Gruppe übermotivierter, kreativer Nerds den Lehrertraum lebte und jeden Tag Znüni und Zvieri angeboten bekam, ging meine Amerikanische Kollegin ein Zimmer weiter durch die Hölle. Sie war immer total gestresst, weil die Schüler kein Wort Englisch konnten, sie nicht respektierten und zum Teil während des Unterrichtes anfingen zu telefonieren. Zwei Mädels machten ihr das Leben besonders schwer, indem sie laut miteinander tratschten und während des Unterrichtes anfingen miteinander zu singen. Dass ihr nicht noch Fack-juh-Goethe-mässige Streiche gespielt wurden, fehlte noch. Obwohl ich nicht wusste, wieso sie sich das gefallen liess – es ist ein freiwilliger Kurs, ich hätte diese Gören einfach zum Rektor und dann nach Hause geschickt – tat sie mir wahnsinnig leid. Sie hatte Angst, dass die Schüler sie nicht mögen würden, wenn sie strenger wäre. Naja, ich würde lieber respektiert als gemocht werden und versuchte sie davon zu überzeugen, dass sie diese eine Woche schon überleben würde. Arme Sally.


Ein Bisschen Kunst aus dem Lycée Pierre Lescot...

Am letzten Tag führten sie den Sketch auf, den sie in zweier Gruppen während der Woche erfunden und überarbeitet hatten. Es kamen ein Paar sehr lustige Sachen zusammen und ich muss zugeben, dass ich mir schon vorstellen könnte, in einem Lycée oder am Gymnasium zu unterrichten. Natürlich ist mir klar, dass ich nicht immer nur vor einer übermotivierten Gruppe Nerds stehen würde, aber ich bin anscheinend Fähig, meine Freude an Sprache auch älteren Kindern weiter zu geben.



So, das war endlich mal ein positiver Eintrag, ich will ja nicht, dass der Eindruck entsteht, dass es mir hier schlecht ginge. Eigentlich geht es mir nämlich sehr gut und es gefällt mir hier in Paris sehr. Trotzdem habe ich auch hier die Tendenz, mich eher mit Kanadiern und Amerikanern anzufreunden, als wie geplant mit richtigen französischsprechenden Franzosen. Egal, ich bekomme auch gerne Komplimente für mein gutes Englisch. Apropos: Am letzten Tag meines Stages Intensif kam Sally an meinem Zimmer vorbei, als meine Schülerinnen noch da waren und sagte mir tschüss. Als ich ihr auf Englisch ein schönes Wochenende und gute Erholung wünschte, schauten mich die drei Französinnen schockiert an. Ja, es ist möglich, zwei Fremdsprachen relativ akzentfrei zu sprechen…


In diese Sinn wünsch isch oisch ein gute Tag.


* Genau er wollte "Gewinner" schreiben: gevin heur [gefinöör] macht auf Französisch sogar fast irgendwie Sinn, das so zu schreiben.

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